FALL 16

Fatimah, 7 Jahre, aus Nassirija/Irak

Diagnose: Fallot'sche Tetralogie mit einem obstruktiven filiformen rechtsventrikulären Ausflusstrakt, Isolation der linken Pulmonalarterie, multiple MAPCAS

Therapie:

30.04.2021 diagnostischer Herzkatheter in der Kinderkardiologie der Universität Erlangen 17.06.2021 Op: Unifokalisation in der Kinderherzchirurgie der Universität Erlangen: Anschluss LPA an die PA-Bifurkation und LPA Patchplastik, VSD Patchverschluss mit kleinem belassenen Fenster, Blindverschluss d. PA Stamm,
RV-PA Conduit Implantation 21.06.2021 Herzkatheter: Implantation eines Stents in die LPA-Stenose, Verschluss einer MAPCA nach rechts 23.06.2021 Lungenödem bds. nach Extubation 23.06,2021 Herzkatheter: Ballonangioplastie des PFO, VSD Verschluss

Betreuungszeitraum: 26.04.2021 bis 08.08.2021, Rückflug am 09.08.2021

Vorgeschichte und Verlauf:

2020: Ein Herzenswunsch von Dr. Jabbar Said-Falyh für Fatimah

Dr. Jabbar Said-Falyh begegnete am Anfang des Jahres 2020 der damals 5-jährigen Fatimah in Nassirija im südlichen Irak auf der Straße. Ihm fielen die blau verfärbten Lippen des Kindes auf. Untersuchungen eines hinzugezogenen Kardiologen, Dr. Talaat Ali Al-Jarrah, bestätigten den Verdacht auf eine angeborene Herzerkrankung: Tetralogie nach Fallot, die einer schnellstmöglichen operativen Korrektur bedurfte. Fatimah war durch die ungenügende Sauerstoffversorgung, die ja schon seit ihrer Geburt im Mai 2014 bestand, und die sich mit zunehmendem Wachstum verschlimmerte, in ihrer Kraft und Ausdauer schwer beeinträchtigt und auch körperlich gezeichnet. Sie lebte mit den Eltern und einem älteren Bruder in ärmlichen Verhältnissen. Die Mittel für eine Operation im Ausland konnte die Familie, die der Vater mit Gelegenheitsarbeiten ernährte, nicht aufbringen. Das öffentliche irakische Gesundheitssystem kann eine adäquate Behandlung einer derart komplexen Herzerkrankung einschließlich intensivmedizinischer Versorgung nach einer Herzoperation nicht leisten. Ohne Korrektur des Herzfehlers könnte Fatimah das Erwachsenenalter nicht erreichen.

 

Deshalb setzte sich Dr. Said-Falyh mit seinem Vorstandskollegen der "IPPNW-Kinderhilfe Irak", Prof. Dr. Ulrich Gottstein, und mit Dr. Hildegard Müller-Erhard, der Vorsitzenden unseres Vereins "Erlangen hilft", in Verbindung. Seit 2009 bestand eine Kooperation zwischen "IPPNW-Kinderhilfe Irak" und "Erlangen hilft", wodurch bereits mehrere irakische Kindern mit schwerwiegenden Erkrankungen im Großraum Erlangen eine medizinische Versorgung erhielten.

In Arbeitsteilung übernahmen die beiden Vereinsvorsitzenden jeweils die nötigen Schritte, um Fatimah in Begleitung ihrer Mutter Noor zur Herzoperation nach Deutschland zu holen:

Klärung der Finanzierung der Reisekosten, Anträge auf finanzielle Mithilfe bei weiteren gemeinnützigen Vereinen und Stiftungen ("BILD hilft-ein Herz für Kinder" und "Zuversicht für Kinder") zur Sicherung der hohen Behandlungskosten (ursprünglich geschätzt 50.000 Euro), Übernahme der nötigen Reiseversicherungen, Zusage einer Behandlung durch die Kinderherzchirurgie der Universitätsklinik Erlangen erst nach Garantie der Deckung der geschätzten Behandlungskosten, Organisation und Kostenübernahme für Unterbringung und Lebensunterhalt sowie Gewährleistung einer engmaschigen Betreuung einschließlich Dolmetschertätigkeit vor Ort durch "Erlangen hilft", am Ende  - mit allen Unterlagen - Antrag auf Erteilung der Visa bei der deutschen Botschaft in Bagdad.

Die Coronapandemie fordert einen traurigen Tribut

Alle Voraussetzungen waren in kürzester Zeit erfüllt, die Kostenzusagen der verschiedenen Partner waren gegeben. Der Plan war, Kind und begleitende Mutter im Frühsommer 2020 nach Erlangen zu holen. Doch die Corona-Pandemie mit dem weltweiten Lockdown machte zunächst alle Pläne zunichte. Auch Dr. Said-Falyh konnte nicht, wie die Jahre zuvor, aus dem Irak nach Deutschland reisen, um die Sommermonate hier zu verbringen. Nun galt es abzuwarten, bis eine Einreise nach Deutschland wieder möglich wäre. Dr. Said-Falyh beabsichtigte, das Kind im Oktober 2020 - nach Ende der Einreisesperre - persönlich nach Deutschland zu begleiten. Festgehalten im Irak, gab er uns Informationen über die politischen Unruhen und die Not in seiner Heimat, die Auswirkungen der Coronapandemie mit vielen Kranken und Toten und die mangelnde medizinische Ausstattung. Er half den kranken Menschen, so gut er konnte und wie er es mit den wenigen Mitteln vermochte.

Unfassbar, mitten in seinem segensreichen Wirken erkrankte er selbst Anfang Oktober an Covid-19 und überlebte die Infektion nicht. Im Rahmen seiner humanitären Arbeit für kranke irakische Kinder und Mitbürger wurde er zum Corona-Opfer.

Sein Herzenswunsch bis zuletzt war, dass Fatimah in Deutschland die nötige Behandlung bekäme.

2021: Erfüllung des Herzenswunsches posthum

Mit Hilfe eines in Deutschland lebenden Bruders von Dr. Said-Falyh, des Ingenieurs Karim Yaiser, wurde Ende 2020 der Kontakt zur Familie Fatimahs hergestellt. So konnten IPPNW und "Erlangen hilft" Said-Falyhs Wunsch posthum erfüllen. Nur aufgrund des Nachweises einer lebenswichtigen medizinischen Behandlung erteilte die deutsche Botschaft in Bagdad die Visa, so dass im April 2021 Fatimah in Begleitung der Mutter nach Erlangen reisen konnte. Da sie im Laufe der letzten Wochen zunehmend erschöpft und nurmehr minimal körperlich belastbar war, konnte sie kaum 30 Meter weit in der Ebene gehen und wurde jede Treppe von der Mutter hochgetragen. Der Wert der Sauerstoffsättigung in ihrem Blut betrug nur noch 60 Prozent. Größere Strecken konnten lediglich in einem Kinderwagen zurückgelegt werden, den unser Verein "Erlangen hilft" über eine Sachspende erhielt. Wegen der strengen Hygiene- und Kontaktregelungen infolge Corona wurde eine Begleitung in die Klinik zu Terminen nur bei Dringlichkeit zugelassen, z.B. wenn die Anwesenheit eines Dolmetschers erforderlich war. Etliche Male konnten wichtige Fragen und Angelegenheiten nur per Telefon geklärt und moderiert werden. Krankenbesuche auf Station, wie sonst üblich, waren strikt untersagt.

Bis zur Abreise im August 2021 befanden sich Mutter und Kind in der engmaschigen Betreuung ehrenamtlicher Helferinnen und Helfer des Vereins "Erlangen hilft", darunter - das soll hervorgehoben sein - zwei Frauen irakischer Herkunft, die seit langem in Deutschland leben und eine enge Beziehung zu den Gästen aufbauten. Einen besonders wichtigen Einsatz bei der Begleitung leistete der stellvertretende Vorsitzende, Dr. Faidi Mahmoud, der aus Syrien stammt und bis zu seiner Pensionierung als Herzchirurg an der Universitätsklinik Erlangen tätig war.

Bis zur lebensrettenden Operation im Rahmen der Aktion "Kinderherz-Op" der Universitätskinderklinik (verantwortliche Vorstände: Kinderkardiologe Prof. Dr. Sven Dittrich und Kinderherzchirurg Prof. Dr. Robert Cesnjevar) im Juni 2021 war es noch ein langer Weg, da zuvor mehrere Eingriffe (diagnostischer Herzkatheter, Zahnsanierung)

unabdingbar waren, zusätzlich verzögert durch eine 14-tägige Quarantäne für Mutter und Kind wegen eines fraglichen Covid-19-PCR-Nachweises bei Fatimah. Dadurch stiegen die Kosten für Lebensunterhalt und Unterbringung, welche zum Großteil durch Spendengelder der Erlanger Bürger gedeckt wurden. Zudem mussten die auf 3 Monate begrenzten Visa mit erheblichem bürokratischen Aufwand verlängert werden.

Der Eingriff am Herzen war eine echte Herausforderung für die Operateure. Normalerweise werden derartige Herzfehler nicht erst im Alter von sieben Jahren operiert. Mit der 8-stündigen Herzoperation war aber nicht alles getan. Fatimahs Zustand blieb mehrere Tage kritisch. Zwei notfallmäßige Herzkathetereingriffe mit Korrekturen erfolgten, bis sich ihr Zustand stabilisiert hatte. Nach 10 Tagen konnte sie endlich die Intensivstation verlassen. Das gute Zusammenspiel von Herzchirurgen, Intensivmedizinern und Kinderkardiologen war letztlich für Fatimahs Überleben ganz entscheidend. Das ist auch der Grund, weshalb derartige Eingriffe in Ländern wie Irak zur Zeit nicht gelingen können.

Im August - nach mehreren Wochen der Rekonvaleszenz unter ambulanter Nachsorge - konnte Fatimah mit einer 100prozentigen Sauerstoffsättigung im Blut und bei sehr gutem Befinden mit der Mutter zurück in die Heimat reisen. Die weitere Nachsorge wird vom irakischen Kinderkardiologen gewährleistet.

 

Humanitäre Arbeit als ein wichtiger Beitrag für mehr Frieden und Gerechtigkeit in der Welt und im Dienst der Völkerverständigung

Der Fall der kleinen Fatimah ist ein Beispiel für die gute und selbstlose Zusammenarbeit von Menschen aus verschiedenen Herkunftsländern und von verschiedenen Professionen. Spendengelder der im Bericht erwähnten Vereine und Stiftungen ermöglichten in der Summe die Lebensrettung des Kindes, Gelder, die von Bürgern aus unserem Land für diese humanitäre Arbeit von Herzen gegeben wurden.

Mehrere Privatpersonen, vor allem Mitglieder aus arabisch-muslimischen Gemeinden, die vom Schicksal des Mädchens und den prekären Verhältnissen seiner Familie erfuhren, sammelten darüber hinaus Geld, damit der Vater mit Hilfe eines Gebrauchtwagens eine neue Existenz als Taxiunternehmer gründen konnte, um seine Familie besser ernähren zu können.

Alle Helferinnen und Helfer sind verbunden durch den Willen, eine gerechtere und friedlichere Welt mit zu gestalten.

 

 

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